Die letzten Tage des Monats Dezember laden auch in der Energiepolitik zu Rück- und Ausblicken: Was waren die diesjährigen Erfolge? Was hat sich nicht wie gewünscht entwickelt? Wohin geht die Reise im Jahre 2020?
Vom Scherbenhaufen zum politisch ausbalancierten Konzept
Ende 2018 standen wir in der schweizerischen Klimapolitik vor einem Scherbenhaufen. Der Nationalrat hatte mit einer unheiligen Allianz von SP und SVP die vorgeschlagene CO2-Gesetzesrevision abgelehnt. Nun war der Ständerat gefordert, eigene konstruktive Ideen zu entwickeln, um dem Projekt wieder Leben einzuhauchen. Zu Hilfe kam dabei nicht nur die von Greta angestossene Sensibilisierung der Fridays-For-Future-Bewegung, sondern auch der Turn-Around der FDP, welche sich mit einer Mitgliederbefragung das Mandat geben liess, künftig einen progressiveren marktwirtschaftlichen Kurs in Umwelt- und Energiefragen zu fahren. Und so konnten die beiden Ständeherren Ruedi Noser (ZH) und Damian Müller (LU) eine grössere Zahl neuer Elemente in die Vorlage einfliessen lassen, welche nun nicht nur eine Flugticketabgabe sondern auch einen recht umfassend einzusetzenden Fördertopf beinhaltet. Die Energiekommission des Nationalrates hat mit der Behandlung des ständerätlichen Vorschlages begonnen. Geändert wird wohl nur noch wenig. Trotz erstarkter grüner-grünliberaler Sicht will man das Fuder nicht überladen, um es in einer allfälligen Referendumsabstimmung durchzubringen.
Eine Premiere: Das erste Kernkraftwerk vom Netz
Das zweite grosse Ereignis war die Abschaltung von Mühleberg am 20. Dezember. Der Anlass gab allen Seiten Gelegenheit, nochmals ihre Botschaft zur Energiezukunft zu platzieren. Da sang alt Nationalrat Bigler das hohe Lied von der Notwendigkeit neuer Kernkraftwerke, obwohl ihm Eric Nussbaumer vorrechnen konnte, dass diese viel zu spät – nämlich irgendwann um 2050 – ans Netz gehen könnten. Da profilierte sich Regula Rytz als grosse Befürworterin erneuerbarer Energien, ohne gleichzeitig ihrer Klientel zu sagen, dass der Zubau in der Schweiz durch eine Vielzahl von „not in my backyard“- Beschwerden gefährdet ist und hier ein Umdenken nötig ist.
GuD oder WKK?
Elegant demgegenüber Suzanne Thoma, die aufzeigen konnte, dass die BKW mit ihren Sparten Power Grid, Energy, Building Solutions, Engineering und Infra Services gut und breit aufgestellt ist, um die Energie-Transition erfolgreich zu meistern. Alt-Meister Carlo Schmid hat sich in seinem letzten Interview als Präsident der ElCom zum Thema Versorgungslücke nicht mehr technologieneutral geäussert, sondern der Option Gaskraftwerke Priorität eingeräumt. Wenn es nicht um Stimmungsmache, sondern um einen zukunftsorientierten Strom-Mix geht, ist eigentlich allen klar, dass unsere Versorgungssicherheit mit mehr Energieeffizienz, einem massiven Ausbau der Erneuerbaren, einem intelligenten Netzausbau, einer deutlichen Vergrösserung der Speicherkapazitäten und einem ausgewogenen Stromabkommen garantiert werden muss. Erst dann machen einige wenige – vorläufig fossile – Reservekapazitäten mit Blick auf die winterlichen Saisonspitzen Sinn. Ob Kombigaskraftwerke (GuD) oder Wärmekraftkoppelungsanlagen (WKK) geeigneter sind, ist offen. Die Städte als Besitzer der Gaswerke hätten jedenfalls eine grosse Chance, sich mit WKK auch langfristig einen wichtigen Kanal im Strom- und Wärmesektor zu sichern.
Madame Heimlifeiss und die neue Lehmschicht
Am 5. Dezember erschien in der Handelszeitung mit dem Titel «Madame Heimlifeiss» ein Porträt der neuen UVEK-Chefin Simonetta Sommaruga, in welchem ihr attestiert wurde, dass sie relativ viel bewegen kann, indem sie anstelle von Diskussionen in der Öffentlichkeit gezielte Hinterzimmergespräche mit den wesentlichen Playern führe. Gleichzeitig wurde im Artikel aber auch moniert, dass zwischen einem kleinen, parteipolitisch stark fokussierten Stab im Generalsekretariat und den einzelnen Fachämtern eine „Art Lehmschicht“ eingezogen worden sei: Politik sei Aufgabe des Stabs, erst bei der technischen Umsetzung dürfen dann die Fachämter mitwirken. In den vergangenen Jahrzehnten hatten immer wieder einzelne Departementsvorstehende zu Beginn ihrer UVEK/EVED-Zeit ein derartiges Rollenverständnis gepflegt. Die Erfolgreicheren verstanden es jedoch, rasch eine beidseits durchlässige Membran (statt einer Lehmschicht) zu installieren. So konnten sie die Fachkompetenz und langjährige Erfahrung der Ämter gezielt nutzen und auf diese Weise dem Bundesrat und dem Parlament klug austarierte, sachlich stimmige Vorlagen zu unterbreiten.
Für die Branche war‘s ein gutes Jahr
Wirtschaftlich dürfte 2019 für die meisten Energieversorger ein durchaus erfolgreiches Jahr gewesen sein. Im Strom- wie im Gasmarkt brachte die fehlende (vollständige) Marktöffnung noch immer schöne Margen bei den gefangenen Kunden. Bei den Produzenten sorgten die gegenüber den Vorjahren erhöhten Preise an den Strombörsen für Entspannung. Zudem wirkte sich die allgemeine Börsenhausse auch für die Besitzer der Kernkraftwerke positiv aus, weil deren angelegte Gelder für Rückstellungen sowie Einlagen in Stilllegungs- und Entsorgungsfonds höhere Werte repräsentieren. Einziger Wermutstropfen war die Revision der Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung, die den Betreiberfirmen höhere Beiträge abverlangt.
Personell ein überdurchschnittliches Wechseljahr
2019 ist es an der Spitze wichtiger Stromunternehmen zu Veränderungen gekommen: Die Axpo hat nun einen CEO, der wieder Visionen umsetzen darf, bei Alpiq wird der neue Chef die im Aktionärsbindungsvertrag formulierte Strategie vorantreiben und bei Repower kann sich ein neuer CEO zusammen mit dem Verwaltungsrat an einer neuen Strategie versuchen. Bei den Behörden tritt Carlo Schmid, der 1980 als Ständerat erstmals Berner Luft geschnuppert hatte, nach beinahe 40 Jahren von seinem letzten Amt in Bundesbern, dem ElCom-Präsidium, zurück. Er hat diese Behörde samt Sekretariat stark geprägt, er hat die wesentlichen Entscheide konsequent bis zum Bundesgericht durchgezogen und er hat mit seinem Politikbild auch das Zusammenspiel Schweiz – Europa im Stromsektor nicht unwesentlich beeinflusst. Ebenfalls tritt Anne Eckhardt zurück, die acht Jahre als ENSI-Präsidentin wirkte. Man darf gespannt sein, wie sich die Nachfolger der beiden positionieren werden. Mit Blick auf die Energiestrategie 2050 hätte man sich durchaus auch etwas fortschrittlichere und offensivere Personen vorstellen können.
Politik 2020: keine grossen Fortschritte in der Energiepolitik?
Auf der politischen Bühne sind für das Jahr 2020 keine grossen Bewegungen und Gesetzeserlasse im Energiebereich zu erwarten. Simonetta Sommaruga amtet als Bundespräsidentin, das bringt eine Vielzahl zusätzlicher Verpflichtungen, sodass die wichtigen Gesetzesprojekte wohl erst 2021 in die entscheidende Phase kommen werden. Die Debatte zur CO2-Gesetzesrevision dürfte 2020 zwar im Parlament abgeschlossen werden, doch die Revision des Stromversorgungsgesetzes wird wohl nur gerade die Zusatzschlaufe der Vernehmlassung zu den begleitenden Massnahmen im Energiegesetz bewältigen können, obwohl bestimmte Punkte seit Jahren dringend einer Regelung bedürfen. Die Vernehmlassung zum Gasversorgungsgesetz wird auszuwerten und für das Parlament vorzubereiten sein. Hoffnung haben kann man, dass das Stromabkommen bei Fortschritten zum Rahmenabkommen zu Ende verhandelt wird.
2020: Viel Bewegung bei der Mobilität
Noch stehen die normalen Benzin- und Dieselautos bei den Autohändlern vorne in den Ausstellungsräumen und werden den interessierten Kundinnen und Kunden mit viel Werbung und grossen Rabatten angeboten. Aber der 1. Januar 2020 wird das Feld umpflügen. Denn die gesetzlich vorgeschriebene Reduktion der Emissionen von Neuwagen auf 95 Gramm CO2/km kann von einzelnen Importeuren nur erreicht werden, wenn sie gleichzeitig viele E-Autos verkaufen. Plötzlich werden nun für E-Autos nicht mehr nur 5%, sondern (wie bei den Benzinern) 20% Flottenrabatte gewährt, plötzlich wird nun über E-Fahrzeuge positiver berichtet und die Negativkampagnen verstummen. Plötzlich empfehlen Treuhänder ihren Kunden, doch vor Jahresende noch ein tolles E-Auto zu kaufen: So spare man viel Steuern und der Wiederverkaufswert dürfte sich nun demjenigen der Benziner angleichen. Parallel nehmen aber auch die neuen Mobilitätskonzepte Schwung auf: Die SBB hat Green Class zu einem Baukastensystem weiterentwickelt, aus dem man massgeschneidert die passenden Elemente (GA, PW, Mobility, Bike, Taxi) auswählen kann.
Wärme und Gebäude – Leider wenig Fortschritte
Der Gebäudebereich, so wollen es Bundesverfassung und Energiedirektorenkonferenz, ist vor allem ein Aufgabenbereich der Kantone. Wenn man nun die Umsetzung der 2014 lancierten neuen Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) betrachtet, kommen einige Zweifel auf, ob wir da auf Kurs sind. Noch und noch werden in den Kantonen die Energiegesetze abgeschwächt oder gar verworfen, überall drohen Allianzen von Hauseigentümer- und Gewerbeverbänden, die Vorlagen zu Fall zu bringen. Nicht zufälligerweise hat der eigentlich den Kantonen verpflichtete Ständerat nun bei der CO2-Gesetzgebung die Schrauben angezogen: Die Grenzen kantonaler Selbstregulierung werden deutlich.
Spannend dürfte sein, welche Wirkung das neue Programm von EnergieSchweiz «Erneuerbar Heizen», das im Januar 2020 an der Swissbau lanciert wird, haben wird. Es bietet Fachberatungen für Gebäudebesitzerinnen und -besitzer an, die diesen den entscheidenden Impuls für den Umstieg auf erneuerbare Heizsysteme geben sollen. Neben den steuerlichen Erleichterungen sowie den Beiträgen aus dem Gebäudeprogramm bestehen dann hoffentlich genügend Anreize, um den Erneuerbaren einen grösseren Marktanteil zu garantieren.
Forschung und Innovationen weiter unterstützen
Der Umbau der Energielandschaft kann nur gelingen, wenn Forschung und Innovationen aber auch pfiffige Startups vorangetrieben werden. Erfreulicherweise sollen die in den «Swiss Competence Centers for Energy Research» aufgebauten Kapazitäten ab 2021 über ein neues Gefäss des Bundesamts für Energie weiterhin als Verbundprojekte von Hochschulen, Fachhochschulen und Wirtschaft unterstützt werden. Daraus dürften also noch viele neue Erkenntnisse, Innovationen sowie Technologien entstehen. Noch werden die sich daraus entwickelnden Startups nicht optimal gefördert. Der von Bundesrat Schneider-Ammann lancierte neue private Fördertopf hat noch nicht die richtige Flughöhe, um Breitenwirkung zu entfalten. Aber verschiedenste Energie-Startups, die übrigens im Juni 2020 an den Powertagen 2020 mit der xplor Startup Competition eine attraktive Plattform erhalten, signalisieren ihren Willen, die Chancen zu packen, auch wenn die Rahmenbedingungen nicht optimal sind. Für viele wäre die vollständige Marktöffnung ein geeigneter Türöffner: Dann können endlich neue Konzepte und Innovationen in den Markt eintreten, dann kann Wettbewerb echte Vorteile bringen.
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