Ist der CO2-Transport schon bald das grosse Thema?

Am Freitag geht die Herbstsession mit den Schlussabstimmungen zu Ende. Das Parlament wird dann definitiv entscheiden, wie es mit der Förderung der erneuerbaren Stromproduktion ab 2023 weitergeht. Vorgespurt wurde dies durch die Parlamentarische Initiative Girod. Sie hat wesentliche Elemente des vom Bundesrat im Juni ans Parlament überwiesenen Mantelerlasses übernommen und sozusagen auf der Überholspur vorzeitig in Kraft gesetzt. Ob dadurch die Chancen des Mantelerlasses sinken? Oder wird sich die «Mantel»-Debatte allein auf die Versorgungssicherheit im Winter konzentrieren und die ebenfalls zur Diskussion stehende vollständige Marktöffnung ausblenden?

Bis 2030 fixe statt flexible Wasserzinsen – Ein Vorteil für wen?
Der Ständerat hat die Parlamentarische Initiative Girod in den letzten Wochen mit einigen bemerkenswerten Elementen angereichert. Beispielsweise mit der Verlängerung des komfortablen fixen Wasserzinsregimes von 110 Franken pro Kilowatt bis 2030. Dank der Alpen-OPEC wurde diese kurzerhand ebenfalls in die Vorlage gepackt. Obwohl: Exponenten wie der umtriebige Not Carl von der IG Bündner Konzessionsgemeinden verlangen bereits noch höhere Wasserzinsen. Immerhin seien ja die Strompreise in den vergangenen Monaten massiv gestiegen. Da reibt man sich schon die Augen, wenn beim ersten Hochzucken der Strompreise eine sofortige Erhöhung der Wasserzinsen gefordert wird, bei sinkenden Strompreisen dann aber keine Bereitschaft für tiefere Entschädigungen gezeigt wird. Glaubwürdig geht anders. Und falls die Strompreise weiterhin hoch bleiben, werden wohl einige Bergkantone dem schon lange zur Diskussion stehenden flexiblen Wasserzinsregime wehmütig nachtrauern.

Wie garantieren wir die Versorgungssicherheit im Winter?
Bei der Diskussion des Mantelerlasses, der bereits im Oktober in der UREK des Ständerates traktandiert ist, wird die Stromversorgungssicherheit im Winter eines der zentralen Themen sein. Noch sind sich BFE und ElCom nicht einig, ob, wann und in welchem Ausmass Engpässe gegen Ende des Winters zu erwarten sind. Aber das Risiko ist da und es ist durchaus angezeigt, rechtzeitig Massnahmen zu ergreifen. Der Bundesrat schlägt eine Winterreserve von 2 TWh sicher abrufbarem Strom bis 2040 vor. Sie soll vor allem durch den Zubau neuer Wasserkraftwerke bereitgestellt werden. Doch ob diese Kraftwerke je gebaut werden können ist unsicher. Denn an dem von Bundesrätin Simonetta Sommaruga lancierten «Runden Tisch Wasserkraft», an welchem Kantone, Kraftwerksbetreiber und Umweltschutzorganisationen gemeinsame Lösungen erarbeiten sollten, haben die Kantone ihr Engagement stark zurückgefahren. Man fragt sich, ob die Schweiz am Ende auf fossile Ersatzlösungen zurückgreifen muss, weil sich der Runde Tisch orientierungslos im Kreis drehte?


Keine Chance für Gaskraftwerke?

In der Schweiz herrscht eine langjährige Skepsis gegenüber Gaskraftwerken. Dies obwohl im Kanton Aargau während Jahrzehnten von den weltbesten Unternehmen Gas- und Dampfkraftwerke (GuD) gebaut wurden. In der Schweiz selbst kamen diese kaum je zum Einsatz. Auch in den nächsten Jahren werden Gaskraftwerke wohl einen schweren Stand haben, weil die Opposition an den Standorten konkreter Projekte massiv sein dürfte.


BHKW und KVA als Alternativen
In den letzten Wochen haben die dezentralen Alternativen der GuD, insbesondere die flexibel für die Wärme- und Stromproduktion einsetzbaren Blockheizkraftwerke (BHKW) an Aufmerksamkeit gewonnen. Ebenso wie die Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA). Letztere präsentieren sich vermehrt als Energiezentralen, ganz nach dem Vorbild der KVA Bern-Forsthaus: Durch die Zuschaltung von kleinen Gasturbinen kann die Stromproduktion angekurbelt werden. Gleichzeitig profilieren sich erste KVAs mit Pilotprojekten zur Senkung des CO2-Ausstosses. Es wird eine Frage der Rahmenbedingungen sein, ob für die zusätzliche Stromproduktion fossiles Gas mit CO2-Zertifikaten oder grünes, beziehungsweise synthetisches Gas zum Einsatz kommt.


Wir werden wohl noch lange CO2 einfangen müssen…
Alle Anstrengungen sind darauf ausgerichtet, unsere Stromversorgung möglichst vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Dies wird jedoch nicht genügen, um bis 2050 Netto-Null zu erreichen. Eine neue Studie im Rahmen der BFE-Energieperspektiven 2050+ zeigt auf, dass wir um Carbon Capture and Storage (CCS) nicht herumkommen werden. Zwar wird das abzufangende CO2 nicht aus dem Energiesektor stammen, sondern aus KVAs, der chemischen Industrie, der Eisen- und Stahlproduktion sowie aus der Zementherstellung. Diese insgesamt grossen CO2-Volumina übersteigen die in der Schweiz vorhandenen Speichermöglichkeiten bei weitem. Ein grosser Teil des CO2 müsste deshalb entweder in leeren Öl- oder Gasfeldern unter dem Meer gelagert oder in geeigneten Gesteinsschichten, beispielsweise in Island und Oman, mineralisiert werden.


Wie transportieren wir CO2?
Die BFE-Studie zeigt auch auf, dass es für den Transport des CO2 viel mehr als einzelne LKW oder Tankzüge braucht. Vermutlich wird eine CO2-Pipeline Richtung Norden den Abtransport sicherstellen müssen. Irgendwann nach 2040 könnte also CO2 durch eine Röhre der Transitgas-Pipeline fliessen. Doch aktuell dominiert in Europa der Wasserstoff-Hype mit einem geplanten H2-Backbone quer durch Europa. Doch auch die CO2-Thematik wird dereinst international klug abgestimmte Lösungen brauchen. Dann könnte es sein, dass wir plötzlich drei Röhren für die Transite sowie den Abtransport aus der Schweiz brauchen: Je eine für H2, CO2 und synthetisches/grünes Gas.


It‘s time to say good-bye….
Mit diesem Ausblick in eine Zukunft beende ich nach fünf Jahren meine Blog-Tätigkeit für den Energate Messenger. Ich bin vor wenigen Tagen 70 Jahre alt geworden und meine, dass es jetzt an der Zeit ist, einen Teil meiner Engagements abzubauen. Ich danke Marianne Zünd herzlich für das Lektorat all meiner Texte in den vergangenen fünf Jahren – dank ihr wurden meine Texte attraktiv und lesbar. Ich hoffe, dass vielen Leser*innen meine monatliche Kolumne Spass gemacht und sie zum energiepolitischen Nach-, Über- und Weiterdenken angeregt hat.

Orange Signaltafeln – Im Dienste von Sicherheit und Vogelschutz

Nach der grossen Ölkrise der Siebzigerjahre wollte der Bundesrat von der Dominanz des Erdöls in unserer Energieversorgung wegkommen. Er setzte auf Diversifikation, indem er den Bau von Gasleitungen forcierte. Gas war bis dahin eine dezentrale Angelegenheit. Grössere Städte und Gemeinden produzierten es aus Kohle, man nannte es deshalb „Stadtgas“.

Vom Stadtgas zur internationalen Gasverbindung

Zur breiteren Versorgung der Regionen der Schweiz begann Swissgas mit dem Leitungsbau und die Regionalgesellschaften stellten den Anschluss der Städte an dieses nationale Gasnetz sicher. Die internationale Anbindung wurde über die Transitgasleitung erreicht. In ihrer Startphase transportierte sie Gas aus Holland Richtung Schweiz und Italien. Die Mehrheit der Aktien an dieser grenzüberschreitenden Pipeline lag bei Swissgas, die Investitionen wurden aber zu 90% vom ENI-Konzern finanziert, weil sich dieser auch 90% des Durchleitungsvolumens sichern wollte. In den entsprechenden Verträgen mit dem Bund wurde aber für den Fall von Engpässen die prioritäre Belieferung der Schweiz mit Erdgas vorgegeben.

Eine (beinahe) unsichtbare Infrastruktur

Heute sieht man von dieser Gas-Infrastruktur kaum etwas. Die Rohre sind im Untergrund verlegt. Leidglich orange Signaltafeln in einem Abstand von einigen hundert Metern zeugen von deren Existenz. Diese Tafeln erlauben es, den genauen Verlauf der Gasleitungen zu verfolgen. So können im Ereignisfall rasch allfällige Lecks identifiziert und die betroffenen Leitungsabschnitte vom Gesamtsystem abgekoppelt werden.

Eine geglückte künstlerische Intervention

Diese orangen Tafeln waren bei den Bauern bisher nicht beliebt. Beim Pflügen mussten sie umfahren oder zur Seite gestellt werden, sie störten so eine effiziente Arbeitsweise. Oft blieben die Signale lange Zeit umgekippt im Feld oder Acker liegen. Inzwischen ist diese negative Haltung aber am Kippen: Der Künstler Daniel Ritter hat den Umschwung eingeleitet.

Signaltafeln nun bei Bauern und Vogelschützern beliebt

Die dreikantigen Signaltafeln sind oben mit Dornen bestückt, sodass die Vögel sich nicht setzen und die schön emaillierte orange Farbe verdrecken können. Daniel Ritter hat nun ein System mit einer Holzstange entwickelt, die an die Signaltafeln angeschraubt wird. Auf dieser Stange können es sich die Vögel bequem machen und die Tafeln bleiben sauber. Damit hat Ritter das Herz der Bauern gewonnen, denn an den Enden der Signaltafeln sitzen nun Raubvögel und andere gefiederte Tiere, beobachten die Wiesen sowie Äcker und dezimieren Mäuse und allerlei andere Schädlinge. Diese Aktion hat selbst die Vogelschutzorganisation Birdlife begeistert, sie berichtete in ihrer Mitgliederzeitschrift davon. Bereits hat der Künstler zusammen mit den Gasgesellschaften über 2000 Signaltafeln zu Vogellandeplätzen aufgewertet, was einer gezielten künstlerisch-praktischen Intervention in unserer Landschaft gleichkommt. Verschiedenste Fotografien dokumentieren diese Mutation: Am Tag aber auch in der Nacht werden die Signaltafeln von verschiedensten Vogelarten – von Mäusebussarden bis zu Schleiereulen – gerne genutzt.

Sind unsere Gasnetze ein Schatz im Untergrund oder eine Altlast?

Die Schweiz hat in den vergangenen 50 Jahren viel Geld in den Bau und Unterhalt des Erdgasnetzes investiert. Verschiedene Gruppen gehen davon aus, dass diese Leitungen im Zuge der Dekarbonisierung unseres Energiesystems schon bald überflüssig und damit wertlos werden. Doch ist dies realistisch?

Nur gerade beim Strom (26,8% des Gesamtkonsums) halten sich ja Produktion und Verbrauch in der Schweiz übers Jahr die Waage, sind wir also nicht auf Importe angewiesen. Auch im Jahre 2020 war aber die Schweiz (trotz pandemiebedingtem Verbrauchrückgangs bei der Energie für die Mobilität) zu über 70% vom Ausland abhängig, diese Energie muss also weiterhin in die Schweiz transportiert werden.

Energieversorgungssicherheit nur gemeinsam möglich

Auch wenn einzelne Gruppen weiter Autarkie-Träumen nachhängen: Wir werden die Energieversorgungssicherheit der Schweiz auch in Zukunft nur in engem Austausch mit unseren Nachbarländern, mit Europa und mit der Teilnahme an den internationalen Energiemärkten garantieren können. Und dabei können die existierenden Pipelines neben den Stromleitungen der Swissgrid eine wichtige Rolle spielen: sie sind wohl auch in Zukunft als kritische Infrastruktur ein Schatz im Untergrund. Unklar ist derzeit, ob sie erneuerbares Gas, grünen Wasserstoff oder gar CO2 transportieren werden. Aber speziell die Transitgasleitung ist dazu prädestiniert, weiterhin einen Ausgleich zwischen wichtigen europäischen Märkten sowie zwischen Produzenten- und Konsumentenländern sicherzustellen. Die Schweiz ist und bleibt eine internationale Energiedrehscheibe, was auch wesentlich zur Versorgungssicherheit der Schweiz beiträgt.

Ein frischer Blick zurück

IRENA, die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien, wurde 2009 gegründet. Um den Standort der neuen Organisation wurde intensiv gekämpft. Schliesslich fand sie ihr Domizil in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), genauer in Masdar City in Abu Dhabi. Ich durfte die Schweiz jeweils an der jährlichen IRENA-Generalversammlung und am anschliessenden World Future Energy Summit vertreten. Zusätzlich organisierte unserer Botschaft jeweils bilaterale Gespräche mit Vertretern der wichtigsten Ministerien der VAE.

So diskutierten wir mit dem Energie- und Umweltminister über Möglichkeiten einer verstärkten Kooperation im Energieforschungsbereich. Verschiedentlich kamen aber auch die Pläne der VAE zum Bau eigener Atomwerke zur Sprache. Pläne, die verschiedene Fragen aufwarfen. Beispielsweise, ob Masdar als Stadt der Zukunft propagiert werden kann, wenn gleichzeitig eine Atomstrategie verfolgt wird. Oder ob es überhaupt Sinn macht, in dieser Region auf Kernkraft zusetzen, wenn dort doch andere Energien mit grossem Zukunftspotential vorhanden sind.

Sicherheit versus Kostenminimierung?

Intensiv erörterten wir auch Fragen rund um die Sicherheit von Kernkraftwerken und ob Abu Dhabi auf Reaktoren der zweiten oder dritten Generation setzen solle. Die VAE entschieden sich schliesslich für die kostengünstigere zweite Generation mit tieferen Sicherheitsstandards. Unsere VAE-Gesprächspartner interessierten sich für die Übernahme der schweizerischen Sicherheits- und Überwachungskonzepte und hätten sich gerne beim Aufbau einer nationalen Sicherheitsbehörde vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI begleiten lassen. Doch das ENSI lehnte diese Anfrage ab, weil ein derartiges Engagement nicht zu seinen Kernaufgaben gehört.

Wer steuert ein Kernkraftwerk im „worst case“?

In Abu Dhabi stammen über 90% der Arbeitnehmenden aus dem Ausland. Daher musste davon ausgegangen werden, dass auch die komplexen Kernkraftwerksysteme kaum von Einheimischen betrieben würden. Nach längeren Abklärungen wurde für den „worst case“ eines vollständigen Abzugs aller ausländischen Arbeitskräfte eine Lösung gefunden: Ein internationaler Energiekonzern garantiert, dass permanent eine kleine Gruppe Einheimischer genügend qualifiziert ist, um einen Notbetrieb – aber ohne Stromproduktion – sicherzustellen.

2008 wurde der Bau von 4 Kraftwerksblöcken mit je rund 1000 Megawatt Leistung beschlossen. Die Erzeugungskosten pro Kilowattstunde sollten gemäss den damaligen Berechnungen bei einem Viertel der bestehenden Gaskraftwerke liegen. Im April 2021 hat nun der erste Block die kommerzielle Produktion aufgenommen.

Nuklearstrom sechsmal teurer als PV!

Ich hatte diesen Sommer eine Videokonferenz mit dem CEO eines wichtigen Energieversorgungsunternehmens der VAE. Er berichtete mir über die aktuelle Kostensituation. Glücklich ist er über die neusten PV-Parks, die den Strom aktuell zu 1,35 Cents/kWh produzieren. Zusätzlich kann er für die Nacht Strom aus Gaskraftwerken zuschalten, der Gestehungskosten von 4-5 Cents/kWh hat. Sorgen bereitet ihm aber der in den nächsten Jahren wachsende Anteil von Atomstrom. Dieser wird nämlich aktuell zu 8 Cents/kWh produziert. Wie soll er dieses teure Produkt den inzwischen durchaus preissensiblen Kunden verkaufen?

Wir diskutierten miteinander über die langfristigen Folgen, wenn die Produktionskapazitäten auf die grösstmöglich anzunehmende Nachfrage ausrichtet wird anstatt auf klare marktbasierte Knappheits- und Preissignale zu setzen. Ich habe ihm erzählt, dass die Strombranche in der Schweiz dereinst auch mal Pläne für 10 Kernkraftwerke hatte. Glücklicherweise seien nicht alle davon realisiert worden. Wir waren uns einig, dass Versorgungssicherheit und Netto-Null in der sich rasch ändernden Energiewelt vor allem mit wettbewerbsorientierten Preisen, Vernetzung und Speicherung erreicht werden kann.

Die Zukunft gehört dem grünen Wasserstoff

Ausführlich haben wir die künftigen Möglichkeiten der Stromspeicherung erörtert. Mit grossemEngagement wird daran geforscht. Man darf gespannt sein, ob bald kostengünstige Superbatterien auf den Markt kommen oder ob Wasserstoff die Lösung sein wird. Der VAE-Vertreter hat sich dazu klar positioniert: Bei derart günstigen Gestehungskosten für Solarstrom seien die aktuell noch tiefen Wirkungsgrade der Umwandlung von Strom in Wasserstoff kein Hindernis. Längerfristig sieht er Wasserstoff sogar als neues Exportprodukt der Region: Grüner Wasserstoff soll Öl und Gas ablösen, auf denen der regionale Wohlstand bisher basierte.

Wir brauchen nicht gewerkschaftliche Horrorbilder sondern eine echte Chance für Innovationen

Letzte Woche fanden die 7. Swiss-US Energy Innovation Days statt, rein virtuell natürlich, aber mit vielen spannenden Präsentationen von Akteuren beider Nationen. Im Chat meldete sich auch Dub Taylor, der ehemalige Energieverantwortliche von Texas. Dort fanden 2019 die letzten physischen Swiss-US Energy Innovation Days vor der Pandemie statt. Dub berichtete, dass den Texanern nach den tagelangen Blackouts während der Kältewelle im Februar nun bereits eine neue Versorgungskrise drohe. Denn aktuell gibt es eine Hitzewelle. Und schon wieder ruft der texanische Übertragungsnetzbetreiber ERCOT die Bevölkerung zum Stromsparen auf, um das Netz stabil zu halten. Einer der Gründe für die andauernden Stromversorgungsprobleme im Bundesstaat Texas ist die Tatsache, dass das texanische Stromnetz praktisch eine Insel ist: Es fehlen Übertragungsleitungen zu den Nachbarstaaten, die bei Bedarf zusätzlichen Strom zur Verfügung stellen könnten.

Am Anfang: Der Stern von Laufenburg

In der Schweiz ist das ganz anders: Wir sind mit 41 grenzüberschreitenden Hochspannungsleitungen mit unseren Nachbarstaaten verbunden. 1958 zählte die Schweiz zu den Initianten einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Stromsektor. Damals wurde der Stern von Laufenburg gegründet, der die nationalen Stromnetze von Deutschland, Frankreich und der Schweiz verband. Die Zusammenarbeit wurde seither massiv verstärkt, es wurden Märkte für die Zusammenarbeit und den Ausgleich entwickelt. Heute sorgt ein sorgfältig austariertes europäisches System für Versorgungssicherheit auch im Krisenfall. Doch aktuell – und wohl noch für einige Zeit – ist unsere Mitwirkung an diesem europäischen Verbundsystem und der Einsitz in dessen Entscheidgremien stark eingeschränkt, weil sich die Schweiz vom Rahmenabkommen verabschiedet hat. Deshalb kommt auch das geplante Stromabkommen, zumindest in naher Zukunft, ebenfalls nicht zustande.

Es diktiert nicht die EU-Kommission, sondern die Mitgliedsländer bestimmen

In der Schweiz ist es den Gegnern einer geordneten Zusammenarbeit mit der EU in den letzten Jahren gelungen, die EU schlecht zu reden und einen veritablen Glaubenskrieg anzuzetteln. Für mich ist die EU aber noch immer ein Friedensprojekt: Noch nie hatten wir derart lange keinen Krieg in Kerneuropa. Die Institution EU als neoliberale Dampfwalze zu karikieren, die sich gegen alle nationalen Interessen durchsetzt, ist nicht gerechtfertigt. Die Mitgliedsländer der EU haben durchaus einen grossen Einfluss auf die Gesetzgebung und den Vollzug. Ähnlich wie bei uns die Kantone wichtige Player beispielsweise in der Energiepolitik sind. So kann sich in der EU auch ein kleines Land wie Luxemburg behaupten und seine Interessen durchsetzen. Mein ehemaliger Kollege, Tom Eischen, der luxemburgische Commissaire de l‘énergie, hat es mir treffend geschildert: 80% aller Regulierungsvorlagen der Kommission unterstützen wir konstruktiv und zukunftsorientiert. Bei den restlichen 20%, die uns stark beeinträchtigen würden, setzen wir uns für unsere spezifischen Interessen ein und machen den anderen klar, dass es für uns existentiell ist. So findet sich auch für ein EU-Mitgliedsland wie Luxemburg, das dieselbe Einwohnerzahl wie der Kanton Aargau hat, meist ein Kompromiss, der seinen Bedenken bestens Rechnung trägt.

Roger Köppels Lob muss jedem Gewerkschafter zu denken geben

Nun hat der Bundesrat die Verhandlungen zum Rahmenabkommen also abgebrochen. Und der Rechtsaussen Roger Köppel findet dafür im Parlament lobende Worte und erhebt im gleichen Atemzug die Gewerkschaften – als Gegner des Rahmenabkommens – zu Verteidigern der schweizerischen Freiheit. Spätestens da sollten sich bei jedem Gewerkschafter und jeder Sozialdemokratin die Nackenhaare sträuben. Ich jedenfalls habe meinen Mitgliederbeitrag an meine Gewerkschaft gestoppt. Denn ich kann dieses ideologische Powerplay nicht unterstützen, das an den langfristigen Interessen der Arbeitnehmenden komplett vorbeizielt. Denn zweifelsohne hätten sich für die noch offenen Punkte bei den Verhandlungen zur Entsenderegelung Lösungen finden lassen, umso mehr als die EU ja selbst ähnliche Bestimmungen am Umsetzen ist.

Das Gespenst von Arbeitslosigkeit und Lohndumping gehört in die Mottenkiste

Ähnlich ideologisch geht es nun in den Diskussionen um die vollständige Strommarktöffnung weiter. Sie ist Teil des Strom-Pakets, das der Bundesrat vergangenen Freitag ans Parlament überwiesen hat. Seit 20 Jahren malen die Gewerkschaften das Gespenst der hohen Arbeitslosigkeit und der sinkenden Löhne an die Wand, die durch den Wettbewerb im Strommarkt verursacht würden. Selbst hohe Politikerinnen argumentieren, Strom sei keine Ware, die auf dem Markt gehandelt werden dürfe, weil sonst der Service Public verloren gehe. Doch Tatsache ist: Heute werden bereits fünf Sechstel des in der Schweiz konsumierten Stroms über den Markt im freien Wettbewerb beschafft und ich sehe weit und breit nichts von Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen in der Strom- und Energiebranche. Vielmehr suchen die Unternehmen händeringend nach qualifizierten Leuten, die als Solarteure, Gebäudetechnikerinnen oder Netzelektriker mithelfen, die Energiewende voranzutreiben. Schluss also mit diesen Horrorbildern aus gewerkschaftlichen Tierbüchern!

Wettbewerb mit Pfiff statt einheitliches Zwangsmenu

Es ist bedauerlich, dass die Gewerkschaften und mit ihr viele in der SP alles tun, um uns als Konsumentinnen und Konsumenten auch beim Strom eine echte Wahl zu verunmöglichen. Und so auch noch gleich der wachsenden Zahl an Prosumentinnen verbieten, ihren selbst produzierten Solarstrom auf dem Markt frei zu verkaufen. Das Standardangebot für die Kleinkonsumenten in der Grundversorgung muss ja gemäss dem bundesrätlichem Vorschlag aus erneuerbarem, inländischem Strom bestehen. Dumpingangebote mit deutschem Kohlestrom sind also nicht zu befürchten. Der Wettbewerb im offenen Markt beflügelt aber Innovationen, nimmt uns als Kundeninnen und Prosumenten ernst und stellt massgeschneiderte Angebote für unsere spezifischen Bedürfnisse bereit. Schon heute gibt es eine ganze Reihe von pfiffigen Start-ups, die Lösungen dafür anbieten. Wenn sich nun auch die Elektrizitätsunternehmen vom Wettbewerb beflügeln lassen, dann dürfen wir uns künftig statt auf ein Zwangsmenu auf eine vielseitige und nachhaltige Energiekost freuen.

Erscheint am 24. Juni im Energate Messenger Schweiz

Neuer Schwung in der internationalen Klimapolitik

Liebe Lisa

Wir haben uns im Juni 2020 kennengelernt. Ihr von der Glarner Klimajugend hattet mich eingeladen, mit Euch zwei Tage lang über mögliche Klima- und Energie-Projekte im Kanton Glarus zu diskutieren. Ziemlich erstaunt war ich, als auf dem Programm nicht nur Begegnungen mit Aktivist:innen sondern auch mit zwei Vertretern der Regierung standen.

Die Klimajugend im Kanton Glarus versteht sich eben nicht nur als Protestgruppe, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam machen will. Nein, sie ist eben auch eine Organisation, die im Kanton Glarus sehr pragmatisch konkrete Fortschritte erreichen will. Deshalb setzt sie sich mit dem Establishment zusammen, unterstützt die Weiterentwicklung des Energiegesetzes und pflanzt auch mal Jungbäume im Schutzwald.

Der Grossteil der Klimajugend ist für das CO2-Gesetz

Doch in den vergangenen Wochen ging es weniger um die kantonale Energie- und Klimapolitik. Nein, die Debatten drehten und drehen sich recht lebhaft um die nationale Abstimmung über das CO2-Gesetz. Ich habe meine Position in einem Brief dargelegt, der innert kurzer Zeit über 6000 mal alleine über Linkedin angeklickt wurde. Ich freue mich, dass die meisten regionalen und lokalen Gruppen der Klimajugend dieses Gesetzes unterstützen, denn es ermöglicht erste wichtige Schritte auf dem Weg zu Netto-Null. Auch wenn wir wissen, dass später weitere folgen müssen.

Die Schweiz allein auf weiter Flur?

Während bei uns auf der nationalen Bühne die klimapolitische Post abgeht, gibt es aber auch wichtige Entwicklungen auf der internationalen Ebene. Nicht wenige Schweizer:innen fragen mich vor dem Urnengang, ob denn neben der Schweiz auch andere Nationen etwas gegen den Klimawandel tun. Ja, das tun sie. Ein von Joe Biden Ende April lancierter digitaler Klimagipfel hat dafür gesorgt, dass sich nun viele Regierungen mit griffigen Konzepten und Massnahmen profilieren wollen. Man spricht gar von einem eigentlichen Klimaretter-Hype, der nicht wenige Staatschefs erfasst haben soll.

Der neue Kampf zwischen USA und China um global Leadership

Denn es wird immer klarer: Der neue wirtschaftliche Wettkampf zwischen USA und China wird auf dem Feld der Klimapolitik ausgetragen. Die USA tun alles, um in diesem Wettstreit um erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu gewinnen. Sie setzen dazu auf ein breites Set von Instrumenten in der Forschung- und Technologiepolitik. Sie lassen aber auch die Muskeln in der Aussenwirtschaftspolitik spielen. Länder, die keine CO2-Reduktionsmassnahmen ergreifen und beispielsweise weiterhin Kohlekraftwerke ohne CO2-Abscheidung in Betrieb nehmen, werden von der amerikanischen Handelspolitik mit Zöllen und anderen Nachteilen bestraft. Und die Resultate sprechen für sich: Nun wird in der EU plötzlich eine Reduktion der CO2-Emissionen um 55% bis 2030 möglich, weil auch die USA ihren Ausstoss bis 2030 gegenüber 2005 um 50% senken wollen.

Gemäss IEA ist das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreichbar

Die Internationale Energieagentur (IEA), in deren Verwaltungsrat ich lange Jahre die Schweiz vertreten durfte, hat einen neuen Bericht publiziert. Der zeigt auf, wie das Netto-Null-Ziel bis 2050 international erreicht werden kann. Lange Zeit war die IEA, die ja die Interessen der ölimportierenden Industrienationen bündelt, als sehr ölfixiert verschrien. Doch spätestens jetzt kann ihr das niemand mehr vorwerfen. In ihrem Bericht zeigt sie klar auf, dass die Priorität auf dem Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Energieeffizienz liegen muss und dass Wasserstoff eine wichtige Rolle in der Transformation spielen könnte. Nötig sind auch höhere Budgets für Forschung und Entwicklung im Bereich Clean Energy aber auch eine verstärkte internationale Kooperation, um Versorgungsrisiken zu mindern und die Kräfte in dieser Transitionsperiode zu vereinen. Zudem fordert die IEA, dass sich die nationalen Regierungen intensiver mit den Risiken der Versorgungssicherheit auseinandersetzen und Marktkonzentrationen, kritische Rohstoffe sowie Schwächen des Stromsystems auf dem Radar haben.

Liebe Lisa, auch international stehen die Weichen also auf Clean Energy und Netto-Null. Die Schweiz ist nicht allein, sondern ist Teil einer grossen Zahl von Ländern, die sich zu diesen Zielen bekennen. Ich bin gespannt, ob auch bald die Wirtschaft der Koalition der Überzeugten beitritt und ihren Innovationsturbo in Richtung Klimaneutralität zünden wird.

Die Abstimmung vom 13. Juni bietet hierfür die Chance. Das revidierte CO2-Gesetz rollt für die schweizerische Wirtschaft – von den KMU über die Elektrizitätsunternehmen bis hin zu den Versicherungen und Banken – den roten Teppich aus, auf dem ihnen für ihre starken Beiträge zur CO2-Reduktion auch die Klimajugend applaudieren wird. Und in einer solch breiten Koalition wird die Schweiz auch im internationalen Vergleich zu den globalen Leadern gehören.

Ich wünsche Dir eine gute Woche und freue mich, nächsten Montag – noch vor dem Digital-Event der Powertage – von Dir zu hören.

Herzliche Grüsse aus Bern

Walter Steinmann


Über die Schreibenden:

Walter Steinmann, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) und Lisa Hämmerli von der Klimabewegung Glarus.
Walter Steinmann, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) und Lisa Hämmerli von der Klimabewegung Glarus

Dr. Walter Steinmann, *1951, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE, 2001-2016)ist Leiter des Advisory Board der Powertage und unabhängiger Berater verschiedener Projekte. Er engagiert sich für Start-ups und hilft mit Innovationen voranzubringen und die Transition im Energiesektor effizient zu gestalten. www.steinmannconsulting.ch

Lisa Hämmerli, *1993, ist im Glarnerland aufgewachsen und hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert. Anschliessend arbeitete sie an der ETH als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Wahrnehmungsforschung zu negativen Emissionstechnologien. Heute arbeitet sie in einem Ingenieurbüro, welches auf Abbau- und Deponieprojekte spezialisiert ist. In ihrer Freizeit engagiert sie sich bei der Klimabewegung in Glarus. Als Co-Präsidentin von KlimaGlarus.ch setzt sie sich für mehr Klimaschutz ein. www.klimaglarus.ch

Das Powertage Team bedankt sich herzlich für das Engagement der beiden.

Brief an meinen Grosssohn

Lieber M.

Geboren am 30. Juli 2020 bist Du mein erster Grosssohn. 2050 wirst Du dreissig Jahre alt sein. Ich werde das wohl nicht mehr erleben, ich wäre dann 99 Jahre alt. Doch Du interessierst Dich sicher schon bald dafür, wie das Klima und die Lebensqualität in der Schweiz im Jahr 2050 sein werden.

Bis 4,5 Grad Temperaturanstieg?

Bis 2050 steigt die globale Temperatur – wenn wir nichts tun – um etwa 3 Grad an. In der Schweiz müssen wir gar mit einem noch stärkeren Anstieg rechnen, im Sommer bis zu 4,5 Grad. Das bedeutet mehr Hitzetage, mehr Extremwetter, weniger Schnee im Winter, geschmolzene Gletscher, vermehrt Murgänge und Überschwemmungen. Zudem kämen wohl Klimaflüchtlinge von Inseln und Landstrichen in die Schweiz, weil deren Heimat unter Wasser liegt.

Das CO2-Gesetz ist ein Kompromiss

Viele Staaten, so auch die Schweiz, haben sich mit dem Pariser Klimaabkommen 2015 verpflichtet, den Temperaturanstieg deutlich unter 2 Grad zu halten. Nun geht es in den einzelnen Ländern um die Umsetzung dieses ambitiösen Ziels. Allein mit technischen Massnahmen wird es wohl nicht zu erreichen sein. In der Schweiz hat das Parlament in den letzten drei Jahren dazu ein neues CO2-Gesetz erarbeitet, über das am 13. Juni abgestimmt wird. Gesetzeswerke sind in unserem Lande immer Kompromisse, weil man den Berggebieten, den Städten, den Umweltanliegen aber auch wirtschaftlichen Aspekten Rechnung tragen muss. Keine Gruppe konnte sich ganz durchsetzen, aber es ist eine Lösung, die zu unserem Land passt. Denn das CO2-Gesetz beinhaltet nicht Verbote, arbeitet mit Anreizen und Förderungen, um Wirkung zu erzielen.

Die Schöpfung bewahren: Klimaerwärmung stoppen

In der aktuellen Abstimmungskampagne sollte eigentlich die Bewahrung der Schöpfung im Zentrum stehen: Was müssen wir tun, damit auch Du und Deine Generation im Jahre 2050 noch eine hohe Lebensqualität haben? Wie können wir die Klimaerwärmung möglichst geringhalten? Wie schaffen wir möglichst optimal den Umstieg zu Energieeffizienz und erneuerbaren Energien?

Die üblichen Argumente der Angstmacher

Doch jetzt wird, lieber M., nicht über Deine Zukunft diskutiert. Jetzt werden die Gegner des Gesetzes nicht müde, dem Volk einzubläuen, dass die Kosten untragbar und die Mehrbelastungen für die kleinen Leute unerhört seien. Sie scheuen sich dabei nicht, nur von den Abgaben zu sprechen und nicht zu erwähnen, dass ein Grossteil dieser Gelder wieder an die Bevölkerung sowie die Wirtschaft in Form von tieferen Krankenkassenprämien sowie AHV-Beiträgen fliesst.

Die Wirtschaft profitiert

Gejammert wird auch über die Mehrbelastung der Wirtschaft. Dies obwohl sich künftig alle Firmen von der Bezahlung der CO2-Abgabe befreien können, wenn sie im Gegenzug ihre CO2-Emissionen reduzieren. Das neue CO2-Gesetz ist gar ein eigentliches Förder- und Beschäftigungsprogramm für die einheimische Wirtschaft. Es werden Gebäude saniert, neue Energietechnologien breit ausgerollt und viel in Forschung sowie Entwicklung investiert.

Getrieben wird die Kampagne gegen das CO2-Gesetz primär von der Erdölindustrie sowie rückwärtsorientierten Teilen der Automobilwirtschaft. Es ist ein letztes Aufbäumen gegen einen Wandel, der unumgänglich ist, damit wir Dir und Deiner Generation eine einigermassen intakte sowie funktionierende Schweiz hinterlassen können.

Herr Kellner leistet dem Thema Wasserstoff keinen Dienst

Eher peinlich auch die Aussagen der Gegner zum Thema Wasserstoff. Dank ihm sei das CO2-Gesetz völlig unnötig. An einer Medienkonferenz im Bundeshaus präsentierte Christian Imark, seines Zeichens SVP-Oberlehrer in Energiefragen, vorerst seine bestbekannten Botschaften zur Überfremdung der Schweiz durch immer mehr Ausländer. Dann übergab er das Wort witzigerweise genau an einen solchen, nämlich an Dr. Hans Michael Kellner, CEO der Messer Schweiz AG. Dessen Ausführungen zum Thema Wasserstoff waren zwar interessant, doch berücksichtigte er die Umsetzbarkeit in unserem Land überhaupt nicht. In der Schweiz werden wir kaum je so viel überschüssigen Strom aus erneuerbaren Quellen haben, dass sich dies rechnen würde. Zudem wäre der Zubau dieser zusätzlich nötigen PV-Anlagen und Windanlagen nur mit riesengrossen Subventionen möglich. Dieser Wasserstoff-Weg wäre also deutlich kostspieliger Weg als das neue CO2-Gesetz. Vermutlich hat die Spitze von Messer Schweiz nach dem Event auch gemerkt, dass sie da auf die falsche Karte gesetzt hatte. Das entsprechende Video war jedenfalls bald wieder von ihrer Webseite verschwunden.

Reden wir in zehn Jahren über das Erreichte und die Zukunft

Ich freue mich, lieber M., mit Dir in zehn Jahren zu diskutieren, was wir bereits erreicht haben. Wir werden einen etwas anderen Dialog führen als ihn die SVP-Vereinfacher derzeit in einem Spot klischeehaft vorführen – weil in unserer Familie seit Generationen Klima, Umwelt, prosperierende Wirtschaft wie auch eine solidarische Zukunft wichtig sind.

Lieber M., ich hoffe, dass am 13. Juni viele Grossväter und Grossmütter, Mütter und Väter aber auch alle weiteren Personen, die den nächsten Generationen eine intakte Umwelt und eine lebenswerte Schweiz übergeben wollen, zum CO2-Gesetz Ja sagen und in grosser Zahl an die Urne gehen.

Herzlich,

Dein Grosspapa Walti

Der Text wird am 27. Mai 2021 im Energate Messenger Schweiz publiziert

Auf dem Weg zu Netto Null und Nachhaltigkeit

Noch stellt Bundesrätin Simonetta Sommaruga den Unternehmen der Energiebranche nicht direkt die Frage, wie sie Netto-Null bis 2050 erreichen wollen. Noch haben auch die meisten Regierungen von Städten und Gemeinden keine klaren Massnahmenpläne zur Umsetzung der Klimaziele und lassen ihre EVUs darum einfach mal weitermachen wie bisher. Noch können deshalb einige rückwärts orientierte Kader in der Energiewirtschaft im Hintergrund gegen das CO2-Gesetz Stimmung machen. In der Hoffnung, dass sie ihr bisheriges Business – zumindest bis zu ihrer Pensionierung – nicht gross verändern müssen.

Grosskunden verlangen Netto-Null subito

Aber: Bereits wollen erste Grosskunden von ihren Lieferanten klimaneutral und nachhaltig bedient werden. Und sie geben dafür ziemlich klar den Tarif durch. Dass sich der Lieferant mit dem Zukauf von Zertifikaten grünwäscht, reicht ihnen nicht. Sie verlangen, dass diese Zertifikateinkäufe jährlich abnehmen und der Lieferant dafür im Betrieb, bei der Mobilität oder beim Einkauf konkrete Klimaschutzmassnahmen umsetzt. Es gibt sogar erste schweizerische Grossunternehmen, die ihren Zulieferern konkrete Deadlines setzen: Ab 2023 oder 2025 muss Netto-Null definitiv umgesetzt sein, Konzepte und erste Resultate müssen bald präsentiert werden.

Der Schweizer Strommix und seine CO2-Intensität

Und schon sind externe Ingenieurbüros daran, Daten auszuwerten, ganzheitliche Analysen vorzunehmen, Optimierungsvorschläge mit Effizienzmassnahmen, sowie Pläne für den Zubau von erneuerbaren Energien oder alternativen Mobilitätskonzepten zu machen. Dabei werden Dinge in Frage gestellt, die bisher als «selbstverständlich» galten. So etwa die Geschichte des fossilfreien Strom-Mixes der Schweiz. Zwar ist der Schweizer Eigenproduktionsmix fast fossilfrei. Und dass den Kleinkonsumenten auf Jahresbasis – wie von ihren Lieferanten versprochen – nur grünen Strom geliefert wird, sichert der Zukauf von Herkunftszertifikaten (HKN) ab. Nun: Vor wenigen Wochen wurden im Internet Echtzeitdaten aufgeschaltet, die ein ganz anderes Bild zeigen:

https://www.electricitymap.org/zone/CH

Und nun beginnt die Diskussion, ob die HKN künftig auf Quartals- oder Monatsbasis ausgegeben werden sollten, um so der erneuerbaren Stromproduktion insbesondere im Winter zusätzlichen Schub zu verleihen. Und sollen bei uns noch HKN-Zertifikate aus dem EU-Raum akzeptiert werden, wenn doch die Schweizer HKN in der EU nicht mehr anerkannt werden? Das sind die kleinen und grösseren Fragen bei den ersten Schritten hin zu Netto-Null…

Netto-Null als Treiber für Nachhaltigkeitsberichte

Netto-Null schleicht sich auch in das Tagesgeschäft vieler Firmen ein. Konsumenten werden kritischer, akzeptieren die bisherigen Deklarationen nicht mehr und verlangen zusätzliche Informationen. Bestimmte Verhaltensweisen sind plötzlich verpönt und die bewusst eingeschränkte Lebensdauer einzelner Produkte wird zu einem No-go. Die Börse beginnt zu reagieren: Nachhaltigkeitskapitel in den Jahresberichten oder gar eigenständige Nachhaltigkeitsberichte werden zu einem Must für die Firmenbewertungen durch Banken und die Börse. Glaubwürdige Konzepte sind gefragt, Pionierleistungen werden erwartet und ein breiter Ansatz einschliesslich des Einbezugs des Personals honoriert.

7 wichtige Punkte bei der Einführung von Netto Null- und Nachhaltigkeitszielen

Mir sind beim Lesen diverser Nachhaltigkeitsberichte folgende Punkte aufgefallen:

  • Nachhaltigkeit ist ein Konzept, welches die Dimensionen Mitarbeitende, Umwelt/ Energie/Klima sowie Wirtschaft integriert und zu optimieren sucht wie dies etwa die SDG-Ziele der UNO skizzieren.
  • Neben aktuellen Daten sind langfristig umsetzbare Strategien wichtig, um nicht bei Klein/Klein zu bleiben.
  • Kreislaufwirtschaftsansätze werden in diesen Überlegungen immer wichtiger: Was geschieht mit den Produkten am Ende ihrer Lebenszeit? Recycling? Second Life?
  • Eigene konkrete Massnahmen bringen Identifikation sowie Dynamik. Sie sind deshalb weit attraktiver als der Zukauf von Zertifikaten. Mir gefällt beispielsweise das Wiederaufforsten verödeter Gebiete als konkreter Beitrag zur CO2-Reduktion.
  • In die Mitarbeitenden wird ebenfalls langfristig investiert und nötigenfalls werden Personen requalifiziert, weil sie die nötigen Veränderungen aktiv mitgestalten und mittragen sollen.
  • Zentral ist die Ansiedlung des Nachhaltigkeitsteams in der Nähe des CEO.
  • Alle grossen Unternehmensberatungs- und Treuhandfirmen haben inzwischen Nachhaltigkeitsdepartemente aufgebaut. Sie können bei der Initialisierung und Ausarbeitung von Nachhaltigkeitskonzepten eine Götti-Funktion einnehmen. Dominieren muss in diesen Konzepten aber die firmeneigene DNA. Nur so lassen sie sich erfolgreich umsetzen.

Ich bin gespannt, wie viele Unternehmen der Energiebranche 2025 noch Jahresberichte ohne Nachhaltigkeitsreport publizieren werden.

Erscheint am 29. April 2021 bei Energate Messenger Schweiz

Eine ehrliche Bilanz

Johannes Teyssen in einem selbstkritischen Interview am Schluss seiner Jahre als CEO der e.on. Eine Firma, die sich unter seiner Führung in den vergangenen Jahren wie kaum eine andere gewandelt hat: dank klugen strategischen Entscheiden kann sie nun auf der europäischen Ebene wieder zu den Champions sich entwickeln.

Nicht wenige Führungsgremien schweizerischer Energiefirmen könnten dieses Dokument an der nächsten VR- oder GL-Sitzung unter dem Traktandum „Strategische Neuausrichtung“ als Einstieg in eine offene und zukunftsgerichtete Diskussion nehmen.

Besten Dank, Johannes Teyssen, für das langjährige Engagement!

https://www.steinmannconsulting.ch/wp-content/uploads/2021/03/Handelsblatt-Teyssen.pdf

Wie schaffen Städte den Umstieg in die neue Energiewelt?

Aktuell erzählt man sich in den Lauben Berns folgende Geschichte: Bundesrätin Simonetta Sommaruga lud vor kurzem einige für Energiefragen zuständige Stadträtinnen und Stadträte zu sich. Sie besprach mit ihnen die zukünftige kommunale Wärmeversorgung mit Blick auf das Netto-Null-Ziel im Jahre 2050. Den Reigen der Präsentationen eröffnete der Vertreter einer Ostschweizer Stadt. Seine Stadt werde die bestehende Gasversorgung voll und ganz auf Biogas umstellen. Als zweiter meldete sich der Repräsentant einer Stadt am Genfersee. Auch diese wolle bis 2050 auf Biogas umsteigen.

Biogaspotential Schweiz arg beschränkt

Dumm nur, dass der Bedarf diese beiden Städte bereits das gesamte einheimische Biogaspotential beansprucht. Die anderen eingeladenen Städte konnten damit mit der Lösung „Biogas“ nicht mehr punkten. Nur am Rande sei erwähnt, dass heute ein Grossteil der Biomasse zu grünem Strom umgewandelt wird. Dank der Einspeisevergütung rechnet sich das für die beteiligten über 150 Landwirte besser als die Produktion von Biogas. Längerfristig muss man davon ausgehen, dass das sehr beschränkt vorhandene Biogaspotential primär für die versorgungskritische Verstromung während der Wintermonate und die Befeuerung von Hochtemperaturöfen in der Industrie zum Einsatz kommen wird. Und kaum mehr für das Heizen von Gebäuden.

Spätestens jetzt sollte es den für Energie und meist auch für Planung und Bau zuständigen Stadträtinnen und Stadträten dämmern: Das Erreichen des Netto-Null-Ziels auf der Ebene Stadt dürfte kein leichter Spaziergang werden. Eine aktuelle Wegleitung dafür findet sich im Schlussbericht des SCCER „Future Energy Efficent Buildings & Districts“ (FEEBD). In diesem Schweizer Kompetenzzentrum für Energieforschung wurde von 2013 bis Ende 2020 unter Leitung der EMPA an der kommunalen Energiezukunft geforscht.

Mehr erneuerbare Energien im städtischen Raum

Die Forscherinnen und Forscher schlagen verschiedene Möglichkeiten für die städtische Energieversorgung vor. Zunächst sollen fossile Quellen für Heizung und Kühlung in den Städten möglichst rasch verschwinden. Dafür werden Dächer und Fassaden in den Städten obligatorisch mit Solarpanels ausgerüstet. Die technische Verbindung der einzelnen Anlagen wird mit Subventionen gefördert. Diese Verbindung ist für die Versorgungssicherheit und die Reduktion des Spitzenbedarfs zentral, weil sie einen Ausgleich auf Quartierebene ermöglicht. Die Stadtverwaltungen garantieren schlanke Bewilligungsverfahren und erstellen Masterpläne für die Nutzung der Quartier-Energie.

Pooling und Sharing – die neuen Modeworte auch im Energiebereich

Weil nicht alle Gebäude dieselben Potentiale für die Energieproduktion haben, erhalten Pooling- und Sharingkonzepte für Strom, Gas und Wärme eine hohe Bedeutung. Die Quartier-Energie-Pläne tragen dem Rechnung und halten die räumliche Verteilung von Produktion, Verbrauch und Speicher fix fest. Anreizsysteme helfen mit, den Eigenverbrauch auf Quartierebene zu maximieren und den «Energie-Import» von ausserhalb des Quartiers zu minimieren.

Flexibilität – das neue Zauberwort

Die Versorgungssicherheit der dezentralen, quartierorientierten Energiewelt wird mit Daten und Algorithmen digital unterstützt. So kann auch die Flexibilität viel besser genutzt werden: Mikrogrids, Demand-side Management und dezentrale Speicherung ermöglichen den Ausgleich auf den untersten Netzebenen. Dazu braucht es klare kommunale Rechtssysteme, Anreizelemente für Verbrauch und Speicherung und klare Regeln für den Zugang zu den übergeordneten Netzebenen.

Erneuerbare Kapazität bereitstellen als zukünftiges Geschäftsmodell

Heute orientieren sich die Geschäftsmodelle und Regulierungen im Energiesektor an der Menge gelieferter Energie in einem Jahr. Das zukünftige Netto-Null Energiesystem erlaubt aber nur noch den Bezug von erneuerbarer Energie. Das führt zu einem grundlegenden Wandel der gesamten Regulierung, weil die Grenzkosten der meisten Anlagen, die erneuerbare Energie ins Energiesystem einspeisen, bei nahe null liegen. Es ist also egal ob eine Windkraft- oder Solaranlage gerade Strom produziert oder nicht: Es kostet fast genau gleich viel. Trotzdem muss das erneuerbare Energiesystem zu jedem Zeitpunkt genügend Energie bereitstellen, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Und mit «zu jedem Zeitpunkt» ist auch der Zeitpunkt des «Peaks» gemeint, also des höchsten Strombedarfs. Das ist beispielsweise ein eiskalter, windstiller Winterabend. Auch dann muss die Versorgungssicherheit garantiert sein. Die hat dann allerdings einen hohen Preis.

Doch an anderen Tagen und Stunden steht erneuerbare Energie im Überfluss, also beinahe gratis, zu Verfügung. Die Geschäftsmodelle der Energieversorger, aber auch die Vorgaben für Verbraucher und Immobilen-Investoren müssen dies künftig berücksichtigen. Konkret:  Die Regularien müssen umgeschrieben werden, vom Strommarktdesign über die Speichervorgaben bis zu den Bau- und Planungsvorschriften. Die Kapazität, auch Leistung genannt, wird zu einer wesentlichen Schlüsselgrösse im Energiesektor. Die rasche Anpassung von Tarifen, Produkten und Vorschriften an die Eigenschaften erneuerbarer Energiesysteme wird die energetische Transformation beschleunigen.

Cooling – eine neue Dimension in Zeiten des Klimawandels

Die Forscherinnen und Forscher des SCCER halten fest, dass in den vergangenen 40 Jahren sehr viel zur Reduktion des Wärmebedarfs im Gebäude getan wurde. Nun sei es an der Zeit, sich vermehrt mit der Kühlung von Gebäuden und Quartieren auseinandersetzen. Während den künftig immer zahlreicheren und heisseren Sommertagen werden wir uns kühle Wohnungen und keine Hitze-Inseln im Quartier wünschen. Dazu braucht es Grünflächen und kleinere Parks und auch eine durchdachte Anordnung der Gebäude im Quartier, damit der Wind die aufgeheizte Luft wegtragen und am Abend die ersehnte Nachtkühle bringen kann.

H2 und synthetische Gase als wesentliche Puffer

Über drei Viertel der Schweizer Bevölkerung lebt bereits in einer städtischen Umgebung. Die Städte sollten deshalb gemeinsam eine massgeschneiderte Klima- und Energiepolitik entwickeln. Diese sollte nicht auf Biogas-Illusionen basieren, sondern umfassend alle Herausforderungen von Quartier-Energieplanung, über Effizienz, Sharing, Flexibilität bis hin zur Städteplanung angehen. Das SCCER FEEBD macht dazu kluge Vorschläge.

Vielleicht wird sich bei den Stadträtinnen und Stadträten beim Lesen dieser Empfehlungen auch die Power-to-X-Frage stellen. Damit könnte der im Sommer grossflächig produzierte überschüssige Strom aus erneuerbaren Energien als Wasserstoff oder in anderer flüssiger und gasförmiger Form für den Winter gespeichert werden. So könnten die Städte als Besitzer eines Grossteils unseres Gasnetzes miteinander diskutieren, ob durch diese Röhren in 20 Jahren nicht mehr fossiles Erdgas, sondern grünes Gas beispielsweise Wasserstoff fliessen könnte. Dieser teils im Inland und teils in Südspanien oder Marokko produzierte grüne Wasserstoff könnte ein Teil der der kommunalen Energiezukunft sein.

Mehr zu den Ergebnissen dieses Forschungsprogramms findet sich hier:

https://www.sccer-feebd.ch/white-paper-sccer-feebd/