IRENA, die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien, wurde 2009 gegründet. Um den Standort der neuen Organisation wurde intensiv gekämpft. Schliesslich fand sie ihr Domizil in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), genauer in Masdar City in Abu Dhabi. Ich durfte die Schweiz jeweils an der jährlichen IRENA-Generalversammlung und am anschliessenden World Future Energy Summit vertreten. Zusätzlich organisierte unserer Botschaft jeweils bilaterale Gespräche mit Vertretern der wichtigsten Ministerien der VAE.
So diskutierten wir mit dem Energie- und Umweltminister über Möglichkeiten einer verstärkten Kooperation im Energieforschungsbereich. Verschiedentlich kamen aber auch die Pläne der VAE zum Bau eigener Atomwerke zur Sprache. Pläne, die verschiedene Fragen aufwarfen. Beispielsweise, ob Masdar als Stadt der Zukunft propagiert werden kann, wenn gleichzeitig eine Atomstrategie verfolgt wird. Oder ob es überhaupt Sinn macht, in dieser Region auf Kernkraft zusetzen, wenn dort doch andere Energien mit grossem Zukunftspotential vorhanden sind.
Sicherheit versus Kostenminimierung?
Intensiv erörterten wir auch Fragen rund um die Sicherheit von Kernkraftwerken und ob Abu Dhabi auf Reaktoren der zweiten oder dritten Generation setzen solle. Die VAE entschieden sich schliesslich für die kostengünstigere zweite Generation mit tieferen Sicherheitsstandards. Unsere VAE-Gesprächspartner interessierten sich für die Übernahme der schweizerischen Sicherheits- und Überwachungskonzepte und hätten sich gerne beim Aufbau einer nationalen Sicherheitsbehörde vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI begleiten lassen. Doch das ENSI lehnte diese Anfrage ab, weil ein derartiges Engagement nicht zu seinen Kernaufgaben gehört.
Wer steuert ein Kernkraftwerk im „worst case“?
In Abu Dhabi stammen über 90% der Arbeitnehmenden aus dem Ausland. Daher musste davon ausgegangen werden, dass auch die komplexen Kernkraftwerksysteme kaum von Einheimischen betrieben würden. Nach längeren Abklärungen wurde für den „worst case“ eines vollständigen Abzugs aller ausländischen Arbeitskräfte eine Lösung gefunden: Ein internationaler Energiekonzern garantiert, dass permanent eine kleine Gruppe Einheimischer genügend qualifiziert ist, um einen Notbetrieb – aber ohne Stromproduktion – sicherzustellen.
2008 wurde der Bau von 4 Kraftwerksblöcken mit je rund 1000 Megawatt Leistung beschlossen. Die Erzeugungskosten pro Kilowattstunde sollten gemäss den damaligen Berechnungen bei einem Viertel der bestehenden Gaskraftwerke liegen. Im April 2021 hat nun der erste Block die kommerzielle Produktion aufgenommen.
Nuklearstrom sechsmal teurer als PV!
Ich hatte diesen Sommer eine Videokonferenz mit dem CEO eines wichtigen Energieversorgungsunternehmens der VAE. Er berichtete mir über die aktuelle Kostensituation. Glücklich ist er über die neusten PV-Parks, die den Strom aktuell zu 1,35 Cents/kWh produzieren. Zusätzlich kann er für die Nacht Strom aus Gaskraftwerken zuschalten, der Gestehungskosten von 4-5 Cents/kWh hat. Sorgen bereitet ihm aber der in den nächsten Jahren wachsende Anteil von Atomstrom. Dieser wird nämlich aktuell zu 8 Cents/kWh produziert. Wie soll er dieses teure Produkt den inzwischen durchaus preissensiblen Kunden verkaufen?
Wir diskutierten miteinander über die langfristigen Folgen, wenn die Produktionskapazitäten auf die grösstmöglich anzunehmende Nachfrage ausrichtet wird anstatt auf klare marktbasierte Knappheits- und Preissignale zu setzen. Ich habe ihm erzählt, dass die Strombranche in der Schweiz dereinst auch mal Pläne für 10 Kernkraftwerke hatte. Glücklicherweise seien nicht alle davon realisiert worden. Wir waren uns einig, dass Versorgungssicherheit und Netto-Null in der sich rasch ändernden Energiewelt vor allem mit wettbewerbsorientierten Preisen, Vernetzung und Speicherung erreicht werden kann.
Die Zukunft gehört dem grünen Wasserstoff
Ausführlich haben wir die künftigen Möglichkeiten der Stromspeicherung erörtert. Mit grossemEngagement wird daran geforscht. Man darf gespannt sein, ob bald kostengünstige Superbatterien auf den Markt kommen oder ob Wasserstoff die Lösung sein wird. Der VAE-Vertreter hat sich dazu klar positioniert: Bei derart günstigen Gestehungskosten für Solarstrom seien die aktuell noch tiefen Wirkungsgrade der Umwandlung von Strom in Wasserstoff kein Hindernis. Längerfristig sieht er Wasserstoff sogar als neues Exportprodukt der Region: Grüner Wasserstoff soll Öl und Gas ablösen, auf denen der regionale Wohlstand bisher basierte.