Wie schaffen Städte den Umstieg in die neue Energiewelt?

Aktuell erzählt man sich in den Lauben Berns folgende Geschichte: Bundesrätin Simonetta Sommaruga lud vor kurzem einige für Energiefragen zuständige Stadträtinnen und Stadträte zu sich. Sie besprach mit ihnen die zukünftige kommunale Wärmeversorgung mit Blick auf das Netto-Null-Ziel im Jahre 2050. Den Reigen der Präsentationen eröffnete der Vertreter einer Ostschweizer Stadt. Seine Stadt werde die bestehende Gasversorgung voll und ganz auf Biogas umstellen. Als zweiter meldete sich der Repräsentant einer Stadt am Genfersee. Auch diese wolle bis 2050 auf Biogas umsteigen.

Biogaspotential Schweiz arg beschränkt

Dumm nur, dass der Bedarf diese beiden Städte bereits das gesamte einheimische Biogaspotential beansprucht. Die anderen eingeladenen Städte konnten damit mit der Lösung „Biogas“ nicht mehr punkten. Nur am Rande sei erwähnt, dass heute ein Grossteil der Biomasse zu grünem Strom umgewandelt wird. Dank der Einspeisevergütung rechnet sich das für die beteiligten über 150 Landwirte besser als die Produktion von Biogas. Längerfristig muss man davon ausgehen, dass das sehr beschränkt vorhandene Biogaspotential primär für die versorgungskritische Verstromung während der Wintermonate und die Befeuerung von Hochtemperaturöfen in der Industrie zum Einsatz kommen wird. Und kaum mehr für das Heizen von Gebäuden.

Spätestens jetzt sollte es den für Energie und meist auch für Planung und Bau zuständigen Stadträtinnen und Stadträten dämmern: Das Erreichen des Netto-Null-Ziels auf der Ebene Stadt dürfte kein leichter Spaziergang werden. Eine aktuelle Wegleitung dafür findet sich im Schlussbericht des SCCER „Future Energy Efficent Buildings & Districts“ (FEEBD). In diesem Schweizer Kompetenzzentrum für Energieforschung wurde von 2013 bis Ende 2020 unter Leitung der EMPA an der kommunalen Energiezukunft geforscht.

Mehr erneuerbare Energien im städtischen Raum

Die Forscherinnen und Forscher schlagen verschiedene Möglichkeiten für die städtische Energieversorgung vor. Zunächst sollen fossile Quellen für Heizung und Kühlung in den Städten möglichst rasch verschwinden. Dafür werden Dächer und Fassaden in den Städten obligatorisch mit Solarpanels ausgerüstet. Die technische Verbindung der einzelnen Anlagen wird mit Subventionen gefördert. Diese Verbindung ist für die Versorgungssicherheit und die Reduktion des Spitzenbedarfs zentral, weil sie einen Ausgleich auf Quartierebene ermöglicht. Die Stadtverwaltungen garantieren schlanke Bewilligungsverfahren und erstellen Masterpläne für die Nutzung der Quartier-Energie.

Pooling und Sharing – die neuen Modeworte auch im Energiebereich

Weil nicht alle Gebäude dieselben Potentiale für die Energieproduktion haben, erhalten Pooling- und Sharingkonzepte für Strom, Gas und Wärme eine hohe Bedeutung. Die Quartier-Energie-Pläne tragen dem Rechnung und halten die räumliche Verteilung von Produktion, Verbrauch und Speicher fix fest. Anreizsysteme helfen mit, den Eigenverbrauch auf Quartierebene zu maximieren und den «Energie-Import» von ausserhalb des Quartiers zu minimieren.

Flexibilität – das neue Zauberwort

Die Versorgungssicherheit der dezentralen, quartierorientierten Energiewelt wird mit Daten und Algorithmen digital unterstützt. So kann auch die Flexibilität viel besser genutzt werden: Mikrogrids, Demand-side Management und dezentrale Speicherung ermöglichen den Ausgleich auf den untersten Netzebenen. Dazu braucht es klare kommunale Rechtssysteme, Anreizelemente für Verbrauch und Speicherung und klare Regeln für den Zugang zu den übergeordneten Netzebenen.

Erneuerbare Kapazität bereitstellen als zukünftiges Geschäftsmodell

Heute orientieren sich die Geschäftsmodelle und Regulierungen im Energiesektor an der Menge gelieferter Energie in einem Jahr. Das zukünftige Netto-Null Energiesystem erlaubt aber nur noch den Bezug von erneuerbarer Energie. Das führt zu einem grundlegenden Wandel der gesamten Regulierung, weil die Grenzkosten der meisten Anlagen, die erneuerbare Energie ins Energiesystem einspeisen, bei nahe null liegen. Es ist also egal ob eine Windkraft- oder Solaranlage gerade Strom produziert oder nicht: Es kostet fast genau gleich viel. Trotzdem muss das erneuerbare Energiesystem zu jedem Zeitpunkt genügend Energie bereitstellen, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Und mit «zu jedem Zeitpunkt» ist auch der Zeitpunkt des «Peaks» gemeint, also des höchsten Strombedarfs. Das ist beispielsweise ein eiskalter, windstiller Winterabend. Auch dann muss die Versorgungssicherheit garantiert sein. Die hat dann allerdings einen hohen Preis.

Doch an anderen Tagen und Stunden steht erneuerbare Energie im Überfluss, also beinahe gratis, zu Verfügung. Die Geschäftsmodelle der Energieversorger, aber auch die Vorgaben für Verbraucher und Immobilen-Investoren müssen dies künftig berücksichtigen. Konkret:  Die Regularien müssen umgeschrieben werden, vom Strommarktdesign über die Speichervorgaben bis zu den Bau- und Planungsvorschriften. Die Kapazität, auch Leistung genannt, wird zu einer wesentlichen Schlüsselgrösse im Energiesektor. Die rasche Anpassung von Tarifen, Produkten und Vorschriften an die Eigenschaften erneuerbarer Energiesysteme wird die energetische Transformation beschleunigen.

Cooling – eine neue Dimension in Zeiten des Klimawandels

Die Forscherinnen und Forscher des SCCER halten fest, dass in den vergangenen 40 Jahren sehr viel zur Reduktion des Wärmebedarfs im Gebäude getan wurde. Nun sei es an der Zeit, sich vermehrt mit der Kühlung von Gebäuden und Quartieren auseinandersetzen. Während den künftig immer zahlreicheren und heisseren Sommertagen werden wir uns kühle Wohnungen und keine Hitze-Inseln im Quartier wünschen. Dazu braucht es Grünflächen und kleinere Parks und auch eine durchdachte Anordnung der Gebäude im Quartier, damit der Wind die aufgeheizte Luft wegtragen und am Abend die ersehnte Nachtkühle bringen kann.

H2 und synthetische Gase als wesentliche Puffer

Über drei Viertel der Schweizer Bevölkerung lebt bereits in einer städtischen Umgebung. Die Städte sollten deshalb gemeinsam eine massgeschneiderte Klima- und Energiepolitik entwickeln. Diese sollte nicht auf Biogas-Illusionen basieren, sondern umfassend alle Herausforderungen von Quartier-Energieplanung, über Effizienz, Sharing, Flexibilität bis hin zur Städteplanung angehen. Das SCCER FEEBD macht dazu kluge Vorschläge.

Vielleicht wird sich bei den Stadträtinnen und Stadträten beim Lesen dieser Empfehlungen auch die Power-to-X-Frage stellen. Damit könnte der im Sommer grossflächig produzierte überschüssige Strom aus erneuerbaren Energien als Wasserstoff oder in anderer flüssiger und gasförmiger Form für den Winter gespeichert werden. So könnten die Städte als Besitzer eines Grossteils unseres Gasnetzes miteinander diskutieren, ob durch diese Röhren in 20 Jahren nicht mehr fossiles Erdgas, sondern grünes Gas beispielsweise Wasserstoff fliessen könnte. Dieser teils im Inland und teils in Südspanien oder Marokko produzierte grüne Wasserstoff könnte ein Teil der der kommunalen Energiezukunft sein.

Mehr zu den Ergebnissen dieses Forschungsprogramms findet sich hier:

https://www.sccer-feebd.ch/white-paper-sccer-feebd/

3 Gedanken zu „Wie schaffen Städte den Umstieg in die neue Energiewelt?“

  1. Lieber Herr Steinmann
    Danke für diese Erläuterungen. Ja, das ganze Energiesystem ist anders zu betrachten. In ihren Ausführungen erwähnen Sie die Geothermie nicht. Warum? Sie kann einen beträchtlichen Teil der Wärme (und Kälte) im urbanen Raum liefern. Siehe https://geothermie-schweiz.ch/waermepotenzial/

    Übrigens: dank Ihnen konnte ich meine Laufbahn als Innovator gehen, zu Beginn 90 er Jahre, als Sie in der Wifö Solothurn tätig waren und ich dank dem Wettbewerb Innovators nach Aarhus gehen durfte

    1. Lieber Cédric
      Besten Dank für diese Rückmeldung. Toll, dass der Kurs bei unseren Kollegen in Aarhus sich langfristig ausgezahlt hat und wir damit einem Innovator den Weg in eine erfreuliche Zukunft bereiten konnten. Weiterhin Glück und Erfolg!
      Selbstverständlich verspreche ich mir von der Geothermie auch im städtischen Raum einiges für die Lösung der Wärme-, Kühlungs- und Speicherprobleme. Aber gleichzeitig müssen wir auch die Bündelung sowie Koordination der verschiedensten Nutzungsansprüche im Untergrund aktiv angehen, ansonsten wird es zu einem Chaos widersprechender Nutzungsansprüche kommen, welches leicht zu einer Katastrophe führt.

  2. Hallo Walter
    Vielen Dank für den wunderbaren Text über das SCCER FEEBD. Es war eine intensive und spannende Zeit.
    Gruss
    Matthias

    PS. Der Spin-off aus dem SCCER FEEB, Sympheny (www.Sympheny.com) hilft in der neuen Energiewelt zu navigieren.

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